Die weiße Leber

Kärntner Kneipen-Krimi
Die weiße Leber von Roland Zingerle
In der Wörthersee-Gemeinde Klein Eggen wird die Kellnerin Ramona Doppelreiter mit mehreren Messerstichen ermordet. Die Tat ereignet sich in einem Zimmer des Gasthofs Kirchenwirt, in dessen Wirtsräumen gleichzeitig eine Blutspendenaktion samt Auftritt des dörflichen Chors abgehalten wird. Ramona stammt aus dem Dorf, kehrte aber erst kürzlich von einem siebenjährigen Aufenthalt in Wien zurück, wo sie in einem Nagelstudio gearbeitet hat. Chefinspektor Widrig führt die Ermittlungen stellvertretend für den im Krankenstand befindlichen Chefinspektor Ogris. Widrig geht mit übertriebener Härte vor, kommt aber rasch zu Ergebnissen: Blutspuren am Tatort können Ogris‘ Schwiegersohn Ludwig Melischnig zugeordnet werden.

Das Buch widme ich allen Freunden des “Klagenfurter Kneipen-Krimis”. Eurer Begeisterung ist es zu verdanken, dass die Saga nun weitergeht. 

Kommen Sie mit nach Klein-Eggen in kärnten

Leseprobe

Sonntag, 23. Juni 2013, 9.50 Uhr
Klein Eggen, Kärnten

Die Sonne lachte von einem nahezu wolkenlosen Himmel, als das Kirchentor sich öffnete und die Einwohner von Klein Eggen aus der Sonntagsmesse entließ. Sie waren festlich gekleidet, die meisten von ihnen in Tracht und bester Sonntagslaune. Während die einen das Areal verließ, blieben andere im Freien stehen, um miteinander zu plaudern. Wieder andere verteilen sich auf dem Friedhof, der die Kirche umgab, um ihre verstorbenen Verwandten zu besuchen.
Einer dieser Friedhofsbesucher war Lisl Berger. Obwohl erst Mitte dreißig, waren ihr Gang gebückt und ihr Schritt unsicher. Sie hatte nicht weit zu gehen, denn das Grab ihres Mannes lag nur wenige Meter vom Kircheneingang entfernt.
“Servus Matthias”, sagte sie leise, während ihre Hand zärtlich über den Grabstein strich. “Es war eine gute Woche.” Sie hockte sich hin und begann, die verdorrten Blumen aus dem Grabschmuck zu zupfen. “Michael wird ein bisschen anstrengend, aber sonst passt alles. Er träumt noch immer davon, dass wir den Chorwettbewerb gewinnen werden, das macht das Proben momentan schwierig, aber er wird auch noch gescheiter werden”.
Lisl Berger öffnete die kleine Tür der Grablaterne, entnahm ihr die abgebrannte Kere und stellte sie an den Rand der Grabplatte wohin sie auch die verdorrten Blumen gelegt hatte. Dann holte sie eine neue Kerze aus ihrer Handtasche, stellte sie in die Laterne und schloss diese, nachdem sie die Kerze entzündet hatte. Sie spürte, wie eine Träne ihren Nasenflügel entlangrann. Schnell wischte sie sie weg, und als gehörte es zu dieser Bewegung, wisperte sie kaum hörbar: “Du fehlst mir so!”
Doch schnell räusperte sie sich und begann, die frischen Unkrauttriebe auszureißen, die schon wieder aus dem Kies lugten, der das Grab bedeckte.
Eine Kirchenglocke erklang. In hellem Ton schlug sie viermal, das Zeichen für die volle Stunde. Dann ertönte eine andere Glocke mit tieferem Klang die die Anzahl der Stunden schlug: zehn Uhr.
Lisl Bergers Bewegung erstarb, und ihr Blick ging ins Leere. “Heute Nachmittag bringe ich dir frische Blumen”, murmelte sie.

Zehn Uhr. Zehn. Zehn Jahre.

***

Montag, 24. Juni 2013, 9.30 Uhr
Donauinsel, Wien

Ein heißer Strahl mitten ins Gesicht. Das war das Erste, was Herbert Pogatschnig an diesem Morgen wahrnahm. Eine stinkende Brühe. Und noch ehe er richtig zu sich gekommen war, ein zweiter.  Alles Weitere kam dann: Zunächst wurde Pogatschnig seine Präsenz in seinem Körper bewusst, dann, noch ehe er die Lider öffnete, schalteten die Augäpfel sich schmerzhaft zu, seine Sinne  fuhren hoch. 
“Ja, brav, Mandi!”
Auch sein Gehör funktionierte. Überhaupt registrierte sein Gehirn einen alle Regionen umfassender Schmerz, Herbert Pogatschnig stöhnte. Auf das Erste, was seine Augen an diesem Tag sahen, hätte er ebenso gut verzichten können wie auf das nasse Gewecktwerden: Direkt vor ihm wackelte der Hintern eines kleinen Hundes, dessen Hinterpfoten Gras und Erde in Pogatschnigs Gesicht schleuderten, offenbar, um die Rückstände seiner soeben verrichteten Notdurft vor der Umwelt zu verbergen.
“Brav, Mandi”, wiederholte die Besitzerin des Hundes, eine älterliche, pummelige Frau, mit breitem Wiener Dialekt. “Brauchen wir gar kein Sackerl für dein Gackerl.” Sie kicherte , als sie ihrem davontrippelnden Hund folgte. “Kriegst daheim ein Keksi.”

Hubert Pogatschnig schloss wieder die Augen. Mit jedem Schlag pumpte sein Herz einen schmerzhaften Strich in die Schläfen und Augäpfel. Der Kopfschmerz schien jeden Moment ins Unerträgliche zu kippen. Er erhob seinen Oberkörper und drehte sich ächzend auf die Knie. Der Schmerz in seinem Kopf schwoll kurz vehement an, Herbert Pogatschnig musste sich zusammennehmen, um seinen Mageninhalt für sich zu behalten. 

***