Das geerbte Weingut – der 8. Fall von heinz Sablatnig

Das Bild zeigt einen sonnigen Weinberg mit einem Gebäude im Hintergrund und einem teils bewölkten Himmel. Der Titel "Das geerbte Weingut" ist in großen, gelben Buchstaben in der Mitte platziert. Der Name des Autors, Roland Zingerle, steht darüber in grüner Schrift. Am unteren Rand sind "Kärnten Krimi" und das Logo des Empire Verlags zu sehen.

IM WEIN LIEGT WAHRHEIT – UND BLUT IST EIN GANZ BESONDRER SAFT.

Die Handlung des ersten Kärntner Weinkrimis

Detektiv Heinz Sablatnig erbt ein ganzes Weingut – von dem Opfer eines Giftmordes, das ihm testamentarisch den Auftrag erteilt hat, den Täter zu finden.

Auf dem Gehöft lebt Heinz mit den Enterbten zusammen, in dem Wissen, dass jeder hier der Mörder sein könnte: die Tochter und der Bruder des Verstorbenen, ein geistig behinderter Mitbewohner sowie zwei Angestellte. Alle hassen Heinz, scheint er ihnen doch weggenommen zu haben, was ihnen gehört.

Dann wird vom Weingut eine Fahne von hohem ideellen Wert gestohlen unter bizarren Umständen. Bei seinen Nachforschungen stößt Heinz auf die Nachkommen einer uralten Weinbruderschaft, die erschreckend viele Fäden in der Gegenwart ziehen. 

Wie es zu diesem Weinkrimi kam

„Als ich die Handlung für Kärntens ersten Wein-Krimi konzipieren wollte, musste ich mir eingestehen, dass ich keine Ahnung von Wein habe. Nicht einmal als Konsument, denn ich bin Biertrinker. Also habe ich einen Winzerkurs bei Erwin Gartner im Obst- und Weinbauzentrum in Sankt Andrä im Lavanttal besucht und war erstaunt über dieses bislang nicht gekannte Universum, das sich da vor mir aufgetan hat. Ein halbes Jahr später habe ich meinen eigenen Weingarten angelegt.“

Roland Zingerle

Leseprobe: Das geerbte Weingut

 

Kapitel 1 – Die Erbschaft

Dienstag, 11.30 Uhr

Heinz hob die Hand, um seine Augen vor der Sonne abzuschirmen. Sein Blick wanderte über den Südhang unter ihm, der ganz weit links in einer leichten Kurve nach Westen verlief. Eine Sommerbrise stieg zu ihm herauf, die das Laub des drei Hektar umfassenden Weingartens rascheln ließ. Am Fuß des Hangs, etwa einhundert Meter von Heinz entfernt, lag der Hof mit einem Wirtschaftsgebäude, auf dessen Vorplatz sein Wagen stand. Parallel darunter verlief ein großes Nebengebäude, das hinten mit einer Halle verlängert worden war. Ein Fahrzeugschuppen flankierte den Vorplatz und ein alter Stall schräg hinter dem Haupthaus sowie weitere Schuppen komplettierten das Ensemble. Das Gehöft wurde von einer großen Wiese umgeben und diese von einem Wald. Das alles gehörte nun ihm, er hatte es geerbt.

Heinz schnaubte und schüttelte den Kopf. Was sollte er als Detektiv mit einem Weingut anfangen? Er hatte keine Ahnung von Wein, er trank nicht einmal welchen, er trank Bier. Freilich könnte er sich über das Vermögen freuen, das dieses Gut darstellte – vorausgesetzt, es war nicht überschuldet –, doch fühlte er sich hier nicht wie ein Besitzer, sondern wie ein Fremder. Außerdem war er sich ziemlich sicher, dass sein Erbe einen Pferdefuß hatte. Das würde er aus dem Brief des Notars aber noch erfahren.

Heinz seufzte und ging über das kurzgeschnittene Gras zwischen zwei Rebzeilen, die in Netze eingepackt waren, zum Hof hinunter.

Bis vor zwei Stunden hatte er noch nicht einmal gewusst, dass es diesen Flecken Erde südöstlich von Wolfsberg überhaupt gab. Heinz kannte das Lavanttal, er hatte hier dann und wann zu tun gehabt, doch von den vielen kleinen Dörfern an den Ausläufern der Saualpe im Westen oder – so wie hier – der Koralpe im Osten, kannte er nur wenige. Und auch die zumeist nur vom Durchfahren.

Am unteren Ende des Weinbergs trat ein gedrungener, stämmiger Mann in den Weg zwischen den Weinreben, stellte sich breitbeinig hin, stemmte die Fäuste in die Hüften und sah Heinz entgegen. Hinter ihm tauchte ein schmächtiger Junge in gebückter Haltung auf, der aber, sowie er Heinz erblickte, gleich wieder hinter dem vermeintlichen Schutz des Laubs verschwand und zwischen den Blättern hervorlugte.

Heinz hatte nicht erwartet, hier von irgendjemandem freundlich empfangen zu werden. Der gedrungene Kerl mochte ein Landarbeiter sein, zumindest wirkte er so, als Heinz ihm näherkam. Er trug einen schmutzigen, graubraunen Overall mit zahlreichen, teilweise geflickten Löchern, und Arbeitsschuhe, die sicher schon einige Weinernten gesehen hatten. An seiner Hüfte saß ein breiter Gurt, an dem eine recht große, oben offene Tasche befestigt war. Aus dieser ragten die Griffe mehrerer Werkzeuge heraus, außerdem schlängelte sich eine grüne Schnur hervor, die wie ein dünner Schlauch aussah. Der Kopf des Mannes war ebenso rund wie sein Bauch, sein Gesicht wettergegerbt und unrasiert, seine Haare waren ungewaschen. Er legte den Kopf schief, schien Heinz zu taxieren, und als dieser auf wenige Meter herangekommen war, sagte er: „Du bist also der neue Bauer.“

Die Worte kamen leicht gebellt, wie für den Lavanttaler Dialekt üblich, doch Heinz konnte nicht erkennen, ob irgendein Gefühl in ihnen mitschwang. Er ging bis auf einen Meter an den Mann heran, blickte ihm ruhig in die Augen und nickte. Dann hielt er ihm die Hand zum Gruß hin. „Mein Name ist Heinz Sablatnig.“

Der Mann, Heinz schätzte ihn auf Mitte dreißig, sah die Hand an, wandte sich zur Seite und spuckte aus. Heinz wollte den Arm schon wieder senken, als der andere doch noch mit einem kräftigen Griff einschlug und dann sagte: „Fritz Pollheimer. Und der junge Mann da hinten ist der Gidi.“ Er deutete mit dem Kopf auf den Kerl, der hinter dem untersten Weinstock der Reihe kauerte und mit angstvollen Augen das Geschehen verfolgte. Auch jetzt, als er vorgestellt wurde, zeigte er keine Reaktion. Pollheimer grinste kurz, dabei zeigte er zwei Reihen blitzend weißer Zähne. „Er ist a wenni schichti.“

Dieser Dialekt war eine Herausforderung, wenn er in starker Ausprägung gesprochen wurde. In Bezug auf den Kerl stellte Heinz fest, dass dieser wohl nicht so jung war, wie sein Verhalten vermuten ließ, Heinz schätzte ihn auf Ende zwanzig.

„Was wird denn jetzt mit dem Weinberg geschehen?“, fragte Fritz Pollheimer.

Heinz wusste nicht, welche Funktion der Mann hier hatte, doch zwei Dinge schienen nun klar zu sein. Erstens, er war mehr als nur ein Landarbeiter, andernfalls wüsste er nicht schon so kurz nach der Rückkehr der Hinterbliebenen über den Inhalt des Testaments Bescheid. Und zweitens, er war mehr um seine eigene Zukunft besorgt als um die des Gehöfts. Heinz schüttelte den Kopf und antwortete wahrheitsgemäß: „Ich weiß es nicht. Die ganze Sache hat mich unerwartet getroffen.“

Pollheimer taxierte ihn wieder, dann nickte er und sagte: „Uns alle.“

 

Ein Tag vorher – Der Anruf vom Notar

Montag, 11 Uhr

Als sein Handy If you don’t know me by now von Harold Melvin & The Blue Notes abspielte, den Klingelton für unbekannte Anrufer, warf Heinz einen Blick aufs Display. Er hatte sich angewöhnt, Anrufe unbekannter Herkunft zunächst zu ignorieren, die Nummern im Internet zu suchen und dann zu entscheiden, ob er zurückrief oder die Rufnummer auf seinem Handy sperrte. Er hatte genug von Meinungsumfragen oder Telefondiensten, die ihm sensationelle Investitionsmöglichkeiten oder weiß-Gott-was aufschwatzen wollten, von Betrügern ganz zu schweigen. Nicht einmal von seinem eigenen Telefonanbieter wollte er kontaktiert werden, denn auch die meldeten sich nur, um ihm Dienste anzubieten, ohne die er bislang bestens ausgekommen war. Im Lauf der Zeit hatte er so ein Gespür dafür bekommen, welche Rufnummern verdächtig waren und welche nicht. In diesem Fall bedurfte es jedoch keiner Intuition, um die Nummer als harmlos einzustufen, es war nämlich eine Festnetznummer mit einer Kärntner Vorwahl, die er sogar kannte: Wolfsberg.

Heinz hob also ab und wunderte sich nicht schlecht, als die Dame am anderen Ende der Leitung sich mit „Notariatskanzlei Doktor Alfred Megymorecz“ vorstellte und fragte, ob er Heinz Sablatnig sei, der Privatdetektiv.

„Berufsdetektiv“, korrigierte Heinz mit einem Schmunzeln.

„Wie bitte?“, kam es nach kurzem Zögern zurück.

„Es heißt Berufsdetektiv, Privatdetektive gibt es in Österreich nicht.“

„Verzeihung, das wusste ich nicht“, erwiderte die Anruferin.

„Die wenigsten wissen das“, erwiderte Heinz launig, „der Rest stimmt aber.“

Anfangs hatte Heinz es als mühsam empfunden, die Menschen über diesen Umstand aufzuklären, doch mittlerweile machte er sich einen Spaß daraus. Die meisten hatten ihr Leben lang nichts mit einem Detektiv zu tun und kaum jemand kannte jemandem, bei dem dies anders war. Das bedeutete, dass sie die Bezeichnung Privatdetektiv, die in Deutschland gebräuchlich war, durch unzählige dort produzierte oder synchronisierte Fernsehkrimis als korrekt ansahen. Sogar in österreichischen Filmen wurde diese falsche Bezeichnung verwendet, der Begriff wurde einfach nicht hinterfragt.

Die Dame aus dem Notariat kam ohne weitere Umschweife zur Sache. „Herr Sablatnig, ich darf Sie im Namen von Herrn Doktor Megymorecz zu einer Testamentseröffnung einladen, und zwar morgen um 10 Uhr. Ich hoffe, Sie haben Zeit?“

Heinz stutzte. Eine Einladung zu einer Testamentseröffnung am Telefon? Und für den darauffolgenden Tag? „Bekommt man eine solche Einladung nicht normalerweise per Post und eine angemessene Zeit vor dem Termin?“

„Das stimmt, nur in diesem Fall ist Zeit ein wesentlicher Faktor. Die schriftliche Einladung wird Ihnen nachgereicht.“

Heinz sah misstrauisch sein Handy an, als hätte das Gerät selbst zu ihm gesprochen. „Um welche Erbschaft geht es“, fragte er, „ich meine, wer ist gestorben?“

„Es tut mir leid, aber solche Informationen darf ich Ihnen am Telefon nicht weitergeben.“

Heinz lachte spontan auf. „Na, Sie sind gut! Sie haben mich doch gerade telefonisch zu einer Testamentseröffnung eingeladen, da werde ich doch zumindest den Namen des Erblassers erfahren dürfen.“

„Herr Sablatnig, ich ersuche Sie um Verständnis, aber ich führe nur die Anweisungen des Herrn Notar aus.“ Die Dame hatte ohne zu zögern geantwortet, ihre Stimme war klar und fest. „Es steht Ihnen natürlich frei, nicht zu dem Termin zu erscheinen, das würde die Angelegenheit jedoch sehr verkomplizieren. Wie schon gesagt, Zeit ist hier ein wichtiges Kriterium.“

Heinz überlegte. Sein erster Gedanke, dass es sich bei dem Anruf um einen geschickt eingefädelten Betrug handelte, erschien ihm bei zweiter Betrachtung unwahrscheinlich. Die Dame hatte den Namen des Notars genannt und Heinz eingeladen, in dessen Büro zu kommen. Ein Blick ins Internet würde genügen, um festzustellen, ob es diesen Notar an der Adresse, die die Bürokraft ihm nennen würde, tatsächlich gab. „Na gut“, lenkte er deshalb ein, „wohin soll ich kommen?“

 

Dienstag, 9.50 Uhr

Vor dem Amtssitz des Notars, eine alte, schön gepflegte Villa in Wolfsberg, gab es einen kleinen Parkplatz, der – wie die hier angebrachten Schilder verrieten – für Klienten vorgesehen war. Heinz stellte seinen neunzehn Jahre alten Ford Focus, dessen hässliche, graubraune Farbe zumindest die Rostflecken tarnte, ab und begab sich zum Eingang. Die Klingelschilder am Eingang bestätigten, was Heinz schon in der Auffahrt vermutet hatte: Die Villa beherbergte nicht nur das Notariat, sondern auch die Wohnung des Notars und seiner Familie. Im Empfangsbereich, dessen Mobiliar ebenso alt, gediegen und teuer wirkte wie die Außenfassade, lernte Heinz die Dame kennen, die ihn am Vortag angerufen hatte. Sie war Mitte vierzig und in einer Weise gepflegt, die fast schon unnatürlich wirkte. Ihr Haar war streng an den Kopf geglättet, ihr mehrfarbiger Lidstrich hinter der dickrandigen Brille perfekt komponiert und aufgetragen, ihr Outfit businessmäßig, aber dezent. Auch ihr Lächeln war einwandfrei freundlich – aber nicht echt.
Sie begrüßte ihn förmlich und bat um einen Lichtbildausweis. Heinz gab ihr seinen Führerschein, den sie mit scharfem Blick musterte. Dann brachte sie Heinz zum Büro des Notars, klopfte kurz an die Tür und trat ein. Doktor Megymorecz – Heinz hatte am Vortag Fotos von ihm im Internet gesehen – thronte hinter einem großen Schreibtisch. Vor diesem saß eine Frau Mitte zwanzig auf einem von zwei Stühlen, links von ihr stand ein schäbiger Rollstuhl mit einem Mann, den Heinz auf Ende sechzig schätzte. Durch das Klopfen aufmerksam geworden, wandten alle ihre Blicke zu den Eintretenden.
„Herr Sablatnig“, meldete die Empfangsdame, verließ den Raum wieder und schloss die Tür hinter sich.
„Grüß Gott, Herr Sablatnig.“ Der Notar legte seine Lesebrille ab, kam um den Tisch herum und begrüßte den Neuankömmling. Megymorecz war ein bulliger Kerl Ende vierzig und etwas größer als Heinz. „Bitte, nehmen Sie Platz“, er deutete auf den leeren Sessel rechts von der jungen Frau.
Heinz folgte der Aufforderung und nickte den beiden anderen mit einem Lächeln zu, was diese jedoch nicht erwiderten. Sowohl die junge Frau als auch der Mann im Rollstuhl musterten ihn mit einem Blick, den Heinz irgendwo zwischen misstrauisch und alarmiert ansiedelte.
Doktor Megymorecz ließ sich in seinen Stuhl fallen. „Nun, wir sind vollzählig, das bedeutet, wir können ohne weitere Umschweife beginnen.“ Er setzte die Brille auf und raschelte geschäftig in ein paar Papieren herum. „Vorab: Ich bedaure, dass diese Testamentseröffnung so kurzfristig und unkonventionell anberaumt ist. Doch in Anbetracht der besonderen Umstände des Todes des Erblassers und seines letzten Willens, habe ich das Bezirksgericht davon überzeugen können, mir die Leitung des Verlassenschaftsverfahrens zu übertragen. Dadurch war es mir möglich, dieses zu beschleunigen.“ Der Notar ließ die Papiere los, verschränkte die Finger auf dem Tisch und atmete einmal kurz und tief durch. Dann bedachte er jeden Anwesenden mit einem Blick über den Rand seiner schmalen Lesebrille hinweg und begann. „Nun, wir sind hier versammelt, um das Testament des gestern verschiedenen Erblassers Daniel Vallant zu eröffnen, Statistiker und Inhaber des Urbanhofes.“
Während Doktor Megymorecz die Adresse sowie die Lebensdaten des Verstorbenen herunterleierte, unterdrückte die junge Frau neben Heinz ein Schluchzen. Der Mann zu ihrer Linken legte ihr die Hand auf den Unterarm, dabei schielte er noch einmal verstohlen und, wie Heinz schien, feindselig zu ihm herüber.
Heinz selbst war verwirrt, mehr als verwirrt. Wer zum Teufel war Daniel Vallant und warum wurde heute schon sein Testament verlesen, wenn er gestern erst gestorben war? Und vor allem: Was tat er, Heinz, hier?
Der Notar fuhr fort. „Erbberechtigt vor dem Gesetz sind die hier anwesenden Marie Vallant, Tochter des Verstorbenen, und Thomas Vallant, Bruder des Verstorbenen. Erbberechtigt laut Testament ist der in keiner verwandtschaftlichen Beziehung zu dem Verstorbenen stehende Heinz Sablatnig, wohnhaft in Klagenfurt am Wörthersee.“
Heinz sah zu den beiden neben sich. Nachdem sie einander nun über die offizielle Einleitung bekannt gemacht worden waren, wollte er seinen stummen Gruß von vorhin wiederholen, kam jedoch nicht dazu.
„Warum ist er hier?“ Thomas Vallants Stimme war tief und wirkte grob. Seine Frage galt ohne Zweifel dem Juristen, dennoch starrte er Heinz dabei an – eine altertümliche Art der Herablassung.
„Ihr Herr Bruder hat ihn in seinem Testament bedacht“, antwortete der Notar nüchtern.
„Wer sind Sie?“, fuhr der Mann im Rollstuhl nun Heinz an.
„Heinz Sablatnig“, erwiderte der Gefragte, verwirrt von der Situation.
„Das habe ich gehört.“ Das Donnern der Stimme schien im Raum widerzuhallen. „Ich will wissen, warum Sie im Testament von meinem Bruder stehen.“
Heinz schenkte ihm einen wilden Blick und fuhr nun seinerseits hoch: „Na, offensichtlich weil er mich hineingeschrieben hat, oder?“
Thomas Vallants Blick schaltete von herausfordernd auf wütend, er beugte sich Heinz entgegen und setzte zu einer wohl geharnischten Antwort an, als Marie, die ja zwischen ihnen saß, ihre Hände mit gespreizten Fingern bis rechts und links von ihrem Gesicht hob und kreischte: „Hört auf!“
Heinz wich zurück, als hätte er einen Stromschlag abbekommen.
Auch Maries Onkel erschrak, fasste sich aber gleich wieder. Er murmelte beruhigende Worte und griff nach ihrem Unterarm, doch sie entzog sich ihm mit einer energischen Geste.
Heinz musterte Maries Gesicht und erkannte, dass sie jünger war, als er angenommen hatte, wohl erst um die zwanzig. Anscheinend hatten ihn das von Trauer gequälte Gesicht und die gramgebeugte Haltung getäuscht.
„Meine Herren“, meinte Doktor Megymorecz ruhig, aber bestimmt, „wir sind hier, um den letzten Willen des Verblichenen zu hören. Und das beinhaltet auch, dass wir diesen Willen respektieren, auch wenn er uns nicht gefällt.“
Heinz sah Thomas Vallant an, um ihm sein Einverständnis zu signalisieren, in der Hoffnung, dies würde die Wogen glätten, doch dieser blickte zur Wand links von sich.
Der Notar ignorierte das und sprach weiter. „Nun, die Verwandtschaft weiß es ja schon, deshalb für Sie, Herr Sablatnig: Daniel Vallant wurde mutmaßlich ermordet.“
„Was?“ Heinz‘ Ausruf war mehr der Überraschung als der Bestürzung geschuldet, immerhin hatte er diesen Daniel Vallant nicht gekannt. Wobei … irgendwie kam ihm der Name nun doch bekannt vor.
„Es hat den Anschein“, erklärte Doktor Megymorecz, „als wäre er vergiftet worden, vermutlich mit Arsenik. Das Ergebnis der Obduktion steht allerdings noch aus.“
Für einen Augenblick schien sich der Raum um Heinz zu drehen. Was sollte das Ganze? „Was heißt, es hat den Anschein“, fragte er, „wie kommt es zu diesem Verdacht?“
Der Notar antwortete mit stoischer Ruhe. „Der Erblasser selbst hat das behauptet. Nachdem er eindeutige Anzeichen einer Vergiftung bei sich festgestellt hatte, hat er seine Symptome im Internet recherchiert und diese eins zu eins bei einer Arsenvergiftung wiedergefunden. Leider hat er dabei auch festgestellt, dass er kaum noch auf Rettung hoffen durfte. Er holte den Notarzt und dann mich, um seine Verhältnisse zu regeln. Das war am Sonntagabend, also vorgestern.“
„Sie sind auch am Wochenende erreichbar?“ Heinz biss sich auf die Zunge, doch die Frage war schon gestellt. Wie es schien, war er darauf konditioniert, Fragen zu stellen, wenn es um ein Gewaltverbrechen ging.
Doktor Megymorecz nahm es locker. „Normalerweise nicht, doch nachdem Daniel Vallant mich am Handy nicht erreicht hatte, hat er mir eine sehr dringliche SMS geschrieben, woraufhin ich ihn zurückgerufen habe. Ich bin noch am Abend zu ihm auf das Gut gefahren, um ein rechtsgültiges Testament abzufassen. Das war ihm sehr wichtig. Unmittelbar darauf hat ihn die Rettung ins Landeskrankenhaus Wolfsberg gebracht. Doch es war leider zu spät.“
Marie krümmte sich und zuckte unter geräuschlosen Schluchzern. Nur ab und zu holte sie hörbar und zittrig Luft. Thomas Vallant strich ihr unbeholfen über den Rücken, doch sie schien es nicht zu bemerken.
Der Notar zog die Augenbrauen zusammen. In Anbetracht der Situation schien es ihm schwerzufallen, seine Pflicht zu erfüllen. „Nun, nun“, begann er und räusperte sich, „kommen wir also zur Verlesung.“ Er ratterte die üblichen Eingangsfloskeln herunter und kam dann zum Wesentlichen, welches aus nur einem Satz bestand: „Ich vermache all meinen Besitz, ohne Ausnahme, Herrn Heinz Sablatnig.“
Alles Weitere, die genaue Bezeichnung, wer Heinz war, sein Geburtsdatum, seine Wohnadresse und Ähnliches, ging in einem fassungslosen, langgezogenen Aufschrei von Marie und Thomas Vallant unter: „Waas?“
Heinz war wie paralysiert. Zunächst konnte er nicht glauben, was er gehört hatte, dann fragte er sich, ob das ein schlechter Scherz war, und schließlich blickte er in die Gesichter der beiden enterbten Verwandten, die ihn ansahen, als wollten sie ihn umbringen, sobald sie ihre Schockstarre überwunden hätten.
„Was … wieso … wieso ich?“, stotterte er.
Ins selbe Horn stieß Thomas Vallant, nur ungleich lauter. „Warum er? Was hat er mit unserem Hof zu tun?“
„Herrschaften, bitte!“ Der Notar hob die Hände in einer Mischgeste aus Abwehr und Beschwichtigung. „Was ich Ihnen vorgelesen habe, ist der letzte Wille des Verblichenen. Auch wenn es Sie noch so schmerzt, seien Sie versichert, dass er seine Gründe …“
„Sie haben ihm das doch eingeredet!“ Der Bruder des Toten hatte sich ein wenig aus seinem Rollstuhl gehoben und hielt sich nun mit einer Hand in einer wackeligen Schwebe, während er mit dem Zeigefinger der anderen wie mit einem Florett dem Notar entgegenfuchtelte.
„Herr Vallant …“
„Er war doch schon gar nicht mehr ganz bei sich, wegen seiner tagelangen Krämpfe und Schmerzen. Da haben Sie sich was ausgedacht, damit der da unseren Besitz erbt.“ Thomas Vallant deutete auf Heinz und wollte seine Attacke weiterreiten, doch Doktor Megymorecz beendete sie, indem er seine flache Hand auf den Tisch drosch und brüllte:
„Herr Vallant, bitte!“
Der Angebrüllte ließ sich in den Rollstuhl zurücksinken, er atmete schwer.
„Sie selbst und Ihre Frau Nichte haben schriftlich bezeugt, dass Ihr Herr Bruder zum Zeitpunkt der Testamentsabfassung voll zurechnungsfähig war.“ Er kramte energisch in dem Akt vor sich und riss schließlich ein Blatt Papier hervor, das er den beiden hinhielt. „Hier, sehen Sie?“
Heinz sah ein paar Zeilen mit zwei Unterschriften darunter.
„Wie auch immer Sie das gedreht haben“, brummte Thomas Vallant drohend, „das Testament ist unmöglich echt.“
Marie jaulte auf: „Warum tun Sie uns das an?“ Dabei sah sie zunächst den Notar und dann Heinz vorwurfsvoll an.
Heinz wollte sich rechtfertigen, wollte erklären, dass er von dieser Eröffnung genauso geschockt sei wie Marie und Thomas Vallant und dass er mit dieser Sache nichts zu tun habe, doch er wusste, dass das in diesem Augenblick zwecklos war.

Über das Buch

  • Herausgeber‏: Empire-Verlag (Nova MD); Erstauflage (27. Juni 2024)
  • Sprache: ‎Deutsch
  • Taschenbuch: ‎424 Seiten
  • ISBN-10: 3989426826
  • ISBN-13: ‎978-3989426825
  • Lesealter: ‎Ab 12 Jahren
  • Format: Taschenbuch (12,5 x 19,5 cm)
  • Preis: € 12,33
  • Erhältlich überall, wo es Bücher gibt.

Die Hauptdarsteller

heinz sablatnig (Anfang 40)

stammt aus Pörtschach am Wörthersee und lebt in Klagenfurt, wo er als selbständiger Berufsdetektiv arbeitet. Heinz ist ein moderner Mann, der es nicht nötig hat, einem Geschlechter- oder sonstigen Klischee zu entsprechen. Er ist der, der er nun einmal ist - mit allen dazugehörigen Schwächen. 

sabine oleschko (Mitte 40)

ist Heinz Sablatnigs Schwester. Als taffe Chefinspektorin der Kripo Klagenfurt kommt sie regelmäßig mit ihrem Bruder ins Gehege, was sie immer wieder in Interessenskonflikte manövriert.

Lesungstermine Wine & Crime 2024

Wine & Crime – Kärnten 2024 ist die Symbiose von Unterhaltungsliteratur und Weinkultur und bietet ​damit doppelten Genuss.

Mehr noch: Die Handlung des Kriminalromans “Das geerbte Weingut” spielt in der Kärntner ​Weinszene und damit an echten Schauplätzen. Autor Roland Zingerle liest und erzählt, in den Pausen ​dazwischen wird Wein verkostet.

Je nach Veranstalter gibt es dazu auch ein kulinarisches Angebot und / oder Musik.

Wine & Crime – Kärnten 2024 wird im gesamten Bundesland abgehalten. Die Gastgeber sind ​Weinbauern, Gastronomen, Burgbesitzer und mehr, die Veranstaltungen finden in herrlichen

Weingärten, gemütlichen Gasträumen, urigen Presskellern oder an anderweitig beeindruckenden ​Orten statt.

Zitate

„In Wein liegt Wahrheit.“ – Alkaios von Lesbos
„Den Edlen erhebt der Wein, den Niedrigen entwürdigt er.“ – Talmud
„Wer trinkt, soll reinen Herzens sein, mit Wein ist nicht zu scherzen.“ – Friedrich Rückert
„Wein ist vom Sonnenlicht gebändigtes Wasser.“ – Galileo Galilei