Amazonas-Geschichten
Einem lebenslangen Traum folgend, übersiedelt Eva Zingerle nach ihrer Pensionierung in Österreich nach Peru. Was Sie dort erlebt zeigt wie sehr sich die Menschen ähneln und die Kulturen unterscheiden. Über ihre Erlebnisse berichtet sie in „Amazona-Geschichten“
Amazonas-Geschichten
Eva Zingerle, Oberin einer österreichischen Krankenpflegeschule, verlegt nach ihrer Pensionierung ihren Wohnsitz nach Peru. Einem lebenslangen Traum folgend, siedelt sie sich im Amazonasurwald an und zwar in dem kleinen Dorf Puerto Esperanza. Dieses liegt am Rio Momon, einem Neben-Nebenfluss des Amazonas. Hier, fernab der Zivilisation, lebt sie auf einfachste Weise in einer Pfahlbau-Hütte und teilt ihren Alltag mit den Einheimischen.
Doch so sehr sie auch dazu gehören möchte, sie schafft es weder die kulturelle Kluft zu überwinden noch Denk- und Verhaltensgewohnheiten abzulegen, die ihr in Österreich ein Leben lang aufgeprägt wurden.
Nach zwei Jahren gibt sie ihr Leben im Urwalddorf auf und baut sich in der peruanischen Amazonasmetropole Iquitos ein Haus. Doch auch hier in der Zivilisation widerfahren ihr im Alltag Dinge, die nicht in ihr mitteleuropäisch geprägtes Denkschema passen und auch hier begegnen ihr Menschen, deren tragische Schicksale leider nur allzu gewöhnlich sind.
Eva Zingerle erzählt in ihrem Buch „Amazonas-Geschichten“ in Anekdotenform Alltagsgeschichten, die jeden den Kopf schütteln lassen, der in einer Leistungsgesellschaft lebt und die klar machen, wie sehr sich die Kulturen dieser Erde unterscheiden, auch wenn die Menschen einander im Grunde noch so ähneln.
Der Wunsch zu schreiben und zu publizieren waren zwei der Dinge, die mich mit meiner Lieblingstante verbunden haben. Leider wurde ihr Zweiterer zu Lebzeiten nicht erfüllt. Die Amazonas-Geschichten sind deshalb nicht nur das geistige Vermächtnis meiner Tante, sie sind auch eine Wunscherfüllung posthum.
Leseprobe aus Amazonas-Geschichten
Heuer haben wir das Jahr 2002. Ich bin Österreicherin und lebe seit vierzehn Jahren hier am Amazonas. Es war kein Zufall, dass ich diese Provinz wählte.
In den 1960er-Jahren arbeitete ich für einige Jahre in Lima und flog im Urlaub 1966 das erste Mal nach Iquitos, der peruanischen Urwaldstadt am Amazonas.
Der Flughafen bestand aus einer alten Baracke und Einheimische boten lebende Papageien, Äffchen, Nasenbären und andere Wildtiere damals noch am Flugfeld zum Verkauf an. Es war die Zeit, in der hunderttausende Tiere ihren Weg in die Gefangenschaft fanden, es gab damals keine entsprechenden Schutzgesetze.
Dann waren da noch die Leute. Besonders liebenswürdige Einheimische, immer freundlich, ruhig, tolerant und hilfsbereit.
Selten flog ein Flugzeug pünktlich ab, denn die Crew benutzte den Aufenthalt, um Einkäufe in der Stadt zu machen, und sie verspätete sich regelmäßig dabei. Iquitos war zwar eine betriebsame Stadt, aber alles war gemütlich und die Leute freundlich.
Von Iquitos aus machte ich dann Ausflüge im Boot und war beeindruckt und begeistert. Nicht nur der Amazonas selbst, vor allem im Hochwasser der Regenzeit war es überwältigend, wenn man mit dem Boot durch die überfluteten Urwaldgebiete fahren konnte, an Baumkronen vorbei, Bromelien und Orchideen in Augenhöhe. Vor allem die kleinen Nebenflüsse und die Fahrten im Kanu zu den Urwaldseen liebte ich sehr. Dort wuchsen an den Ufern in Hülle und Fülle die zartblauen Wasserhyazinthen, die Bäume waren voll mit Lianen und großen, saftigen Schmarotzerpflanzen, die bei uns in Europa in den Fenstern so dahinkümmern, hier aber zu riesigen Pflanzen heranwachsen. Immer wieder flatterten schillernde Schmetterlinge leicht vorbei, all dies von unerhörter Schönheit.
Dazu kam die Stille, kaum unterbrochen von einem schnappenden Fisch, dem Schrei eines Vogels oder dem fast unhörbaren Eintauchen eines Krokodils, das vom Nahen unseres Bootes gestört wurde.
Ein Gefühl von Ruhe und Frieden überkam fast alle bei diesen Fahrten, es schien fast, als ob man durch Zufall wieder ein Paradies entdeckt hätte.
In den darauffolgenden Jahren kam ich immer wieder mal hierher, ich war einfach fasziniert vom Urwald.
In Iquitos entstand ein neuer Flugplatz, die Flüge waren (beinahe) pünktlich, der Urwald rückte durch die Rodungen weiter weg von der Stadt, es gab dann viele Autos, Fernsehen und Discos tauchten auf, aber es blieb gleich aufregend und die Leute in der Stadt gleich freundlich.
Zurückgekehrt nach Europa, wenn Stress und Probleme bei der Arbeit oft übermächtig wurden, tauchte in meinen Wunschträumen immer wieder ein Leben in Frieden und Ruhe im Amazonasurwald auf. Allein die Vorstellung, dass es dort Leute gab, die einen anlächeln auf der Straße, auch wenn sie einen nicht kennen, war schon ein Plus.
Ende der 1980er-Jahre, nach meiner Pensionierung, übersiedelte ich nach Peru. Ich lebte zunächst in Lima, wo ich mich mit sechzig Jahren erstmals verheiratete. Doch die Ehe war nur von kurzer Dauer, denn mein Mann verstarb an Krebs. Frisch verwitwet flog ich mit einer Freundin wieder nach Iquitos und entschloss mich spontan, hierzubleiben.
Ich mietete ein Haus in einem der Armenviertel und machte im neuen Flughafen einen Souvenirladen auf. Doch immer mehr festigte sich in mir der Gedanke, über kurz oder lang in den Urwald zu ziehen und ich schaute mich dahingehend um. Ich wollte einmal weg von allem, in Frieden leben – nicht, weil ich von der Zivilisation enttäuscht war oder Kummer hatte, nein: einfach nur mal aussteigen, auch wenn meine Familie und Freunde verständnislos den Kopf darüber schüttelten. In meinem Alter tat man so was einfach nicht mehr.
Ich fand Leute, die mich begleiten wollten. Lucy war mein Hausmädchen und ihr Mann Manuco verstand etwas von Landwirtschaft. Lucy sollte mir auch im Urwald im Haus helfen und Manuco sollte für sich mit meiner finanziellen Hilfe eine Landwirtschaft aufbauen und mir meine Unkosten mit den Ernten zurückbezahlen.
Schließlich fand ich in Puerto Esperanza, einem kleinen Dorf am Rio (Fluss) Momon, meine neue Heimstätte.
Es waren wieder die Ruhe und auch der Blick von meiner Hausterrasse auf den Urwaldfluss, die mich glücklich machten; es war ein Paradies. Aber wie wir alle wissen, gibt’s auch im Paradies nicht nur Engelswesen, sondern auch Schlangen.
Aber genau davon will ich Ihnen erzählen. Keine dieser Geschichten entspringt meiner Fantasie, es sind wahre Begebenheiten, die ich selbst Anfang der 1990er-Jahre erlebt habe, oder die mir so erzählt wurden.
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Die Autorin
Eva Zingerle wurde 1928 in Wolfsberg in Kärnten geboren. Als ausgebildete Krankenschwester arbeitete sie in Frankreich und in der Schweiz, später ging sie nach Peru, wo sich u. a. als Pflegerin in einem Altenheim in Lima verdingte.
In den 1970er-Jahren kam sie wieder nach Österreich und arbeitete als Lehrerin und später als Oberin in Krankenpflegeschulen in Tirol und Niederösterreich, kehrte aber nach ihrer Pensionierung Ende der 1980er nach Peru zurück. Nach einigen Jahren in Lima und Iquitos siedelte sich in einem Urwalddorf an einem kleinen Nebenfluss des Amazonas an, wo sie in einer Pfahlbauhütte lebte.
Ab den späten 1990er-Jahren war Eva Zingerle österreichische Honorarkonsulin für den peruanischen Verwaltungsbezirk Loreto und erhielt für diese Tätigkeit 2004 den großen Verdienstorden der Republik Österreich verliehen.
Sie starb 2005 in einem Krankenhaus in Lima. Ihre Erlebnisse fasste sie in dem Buch „Amazonas-Geschichten“ zusammen.
„Ein Gefühl von Ruhe und Frieden überkam fast alle bei diesen Fahrten, es schien fast, als ob man durch Zufall wieder ein Paradies entdeckt hätte.“
Amazonas geschichten
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